Girolamo da Treviso

der Jüngere
Treviso um 1497 – 1544 Boulogne

«Die heilige Familie mit der heiligen Katharina in Landschaft» – um 1528/30
Öl a/Holztafel, 61,5 × 47,5 cm

Zuschlag CHF 70'000

Kunstauktion 15.11.2008 | Lot-Nr. 29

Provenienz:
Altbesitz Schweiz.


Das reizende Tafelbild zeigt in einem atmosphärischen nördlichen Landschaftsidyll die Heilige Familie, der sich rechts die Heilige Katharina von Alexandrien beigesellt hat. Die Blicke der heiligen Mutter und ihres Kindes sind nach rechts auf ein Ereignis gerichtet, das sich unserem Blick entzieht.
Das bis heute unveröffentlicht gebliebene Gemälde war 1934 Gegenstand einer knappen kunsthistorischen Untersuchung. In seinem damaligen Gutachten sah Wilhelm Suida Bezüge zur Renaissancemalerei der Emilia, wie ihm auch die unverkennbaren Vorgaben Raffaels nicht entgingen. Er postulierte deshalb eine Zuschreibung an den aus Ferrara stammenden Lodovico Mazzolino. Wenn auch dieser Vorschlag heute nicht mehr länger aufrechterhalten werden kann, so gebührt Suida doch die Anerkennung, für unser Tafelbild das künstlerische und chronologische Umfeld weitestgehend abgesteckt zu haben.
Das atmosphärische und zugleich mystische Dichte erzeugende Bild steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schaffen einer der schillernden Figuren der norditalienischen Renaissancemalerei: Girolamo da Treviso d.J., dem Giorgio Vasari eigens eine Künstlerbiographie gewidmet hatte. Wenngleich die künstlerische Ausbildung dieses aus Treviso stammenden Malers noch nicht zufriedenstellend geklärt ist, so dürfte feststehen, dass sie unmittelbar mit den künstlerischen Vorgängen seiner venezianischen Heimat in Zusammenhang steht.
Girolamos Frühwerk lässt eine Auseinandersetzung mit Salvoldo und vor allem mit der atmosphärischen Malerei Giorgiones erkennen, so beispielsweise in der vermutlich noch im Veneto gemalten „Schlafenden Venus“ (Rom, Galleria Borghese), wie sie auch später, am Anfang seiner langen Tätigkeit in Bologna, noch mitschwingt, wo in „Noli me tangere“ (Bologna, Chiesa S. Giovanni al Monte) auch Zitate aus Tizian erkennbar sind. Wohl aus der venezianischen Erfahrung erwachsen ist auch die in unserem Gemälde klar erkennbare Sensibilität, das Geschehen in Landschaftsidyllen nordischer Prägung zu integrieren. Die atmosphärische Landschaft mit nordischen Burgen und Schlössern weist auf Dürers Graphik zurück, die Giorgione in Venedig zu einer neuen Landschaftsvision angeregt hatte und über diesen in Girolamos Werk eingeflossen sein muss. In seinen silbrig blauen Hintergrundlandschaften näherte sich Girolamo später der ferraresischen Renaissancemalerei an. Man mag sich gar fragen, ob er sich hier nicht von seinem Zeitgenossen Garofalo aus Ferrara inspirieren liess, der einige mit unserem Gemälde vergleichbare Madonnenbilder, wie etwa die "Heilige Familie" in den Musei Civici in Padua (Inv. 458), geschaffen hat.
Kennzeichnend für einen Maler venezianischer Herkunft hat Girolamo hier über seine raffaellesken Gesichtstypen einen Hauch von giorgioneskem Sfumato gelegt. Wie der nördliche Landschaftsprospekt wird in Girolamos Werk auch das aus Raffaellos Kunst geschöpfte Typenrepertoire eine bedeutende Konstante. Dessen Figurentypik ist in unserem Gemälde eines der tragenden Elemente, was im Antlitz des alten Joseph ebenso deutlich wird wie in der an Raffaels römische Putti (z.B. jene um den Jesaiah im Fresko in S. Agostino in Rom) erinnernden Figur des stehenden Christusknaben. Diesbezüglich schliesst unsere Heilige Familie stilistisch unmittelbar an Girolamo da Trevisos „Anbetung der Könige“ in der Londoner National Gallery an. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem späten Raffaello, wie sie sowohl in der „Anbetung der Könige“ als auch im vorliegenden Bild zu erkennen ist – vgl. zum Beispiel das Antlitz unseres Joseph mit jenem des Ewigen im oberen Bereich der Londoner Tafel – erklärt sich womöglich durch Girolamos für 1527 verbürgte Zusammenarbeit mit Raffaels „künstlerischem Erben“, Giulio Romano, im Palazzo del Te’ in Mantua. In diese Zeit dürfte auch die Zeichnung einer Raffaels „Madonna del baldacchino“ nachempfundenen Sacra Conversazione im Louvre (Inv. 4297r) fallen, mit der Girolamo da Treviso ein inzwischen verlorenes Gemälde vorbereitete. Die dort links figurierende Magdalena erscheint nachgerade als Schwester der Katharina unseres Tafelbildes.
Das hier erstmals präsentierte Gemälde ist eine bedeutende Erweiterung von Girolamo da Trevisos Oeuvre. Seine enge stilistische Bezugnahme auf Raffael lässt eine Entstehungszeit unmittelbar nach Girolamos Rückkehr aus Mantua und Genua (1529) als wahrscheinlich erscheinen.
Prof. Dr. Gaudenz Freuler, Universität Zürich