Hans Schärer
Bern 1927–1997 St. Niklausen
«Ohne Titel (Madonna)» – 1980
Oben rechts mit schwarzem Stift signiert und datiert Schärer 80.
Öl, plastische Masse, Graphitstift, Farbtuben, Gewebe und Karton a/Hartfasertafel, integraler Holzleistenrahmen, 75 × 50 cm
Kunstauktion 18.10.2025 | Lot-Nr. 115
Provenienz:
Privatsammlung Zürich; Privatsammlung Graubünden, ehemals Karlsruhe.
Ausstellungen:
Aarau, Aargauer Kunsthaus, Hans Schärer, Madonnen & Erotische Aquarelle, 01.05.–02.08.2015, Kat.-Nr. 213, ganzseitige Farbabb., S. 217, Farbabb.
Werkverzeichnis Hans Schärer, 80_046_MM (online).
Die grossformatigen «Madonnen» von Hans Schärer – mit über hundert Bildern wohl seine bekannteste Werkgruppe – lassen sich international in Museen und Sammlungen finden. Fast 30 Jahre nach dem Tod des der Art Brut nahestehenden Künstlers sind sie weiterhin gesucht; im letzten Jahrzehnt waren einige von ihnen auf der Biennale di Venezia (Palazzo Enciclopedico), im Pariser Centre Culturel Suisse sowie im Swiss Institute New York zu sehen. Die in einer stelenartigen Grundform platzierten Halbfiguren mit dominanten Augen und bezahnten Mündern, zuweilen mit Chakren-ähnlichen Malen und Objekten auf Stirn und Brust, erscheinen als «archaische Göttinnen, Astarten und Gorgonen» (Beat Wismer), manchmal auch als verschnürte Mumien und anders gefangene Wesen mit enormer Präsenz.
Zu vorliegendem Werk stellte sich in der Ausstellung «Madonnen & Erotische Aquarelle» 2015 im Aargauer Kunsthaus die Frage, ob es eine typische «Madonna» sei. 1980 zeichnete sich das Ende der Werkgruppe bereits ab; die Mystik war eindrücklich durcherzählt und das «Geheimnis» in der Brust der Figuren wurde immer öfter durchkreuzt. Das prägnante Bild trägt trotz seiner Andersartigkeit die Merkmale der Reihe. Man könnte meinen, dass ein Querschnitt des Körpers vorliegt: Der Strom der Chakren durchzieht den Leib; die glühende Idee vom körperlichen Empfinden tritt als Kopf einer senkrechten Spalte auf und fliesst hinab in den Schoss. Die Aura aus aufgeschnittenen Zinn-Farbtuben – auf diese Art nur noch einmal in der etwas späteren «Madonna X» als Umhang verwendet – kann als Referenz auf die Malerei als emotional-diskursives Grundelement unseres Denkens gelesen werden.
Das ebenfalls in dieser Auktion angebotene Portrait von 1966, Kat.-Nr. XX, gehört zu den Bildern, die als Hinführung zu den Madonnen gelten dürfen. Beide Werke umrahmen die überreiche Motivgruppe, die sich nach der Retrospektive im Aargauer Kunsthaus 1982 zu weiteren existenzialistisch starken Erzählarten wandelte.
